Les Lancier - eine Quadrille
Ein Beitrag mit Filmszenen zu einem hier vergessenen Tanz
Eine Szene aus den 1930gern in Lammersdorf
Heute ist es endlich soweit. Anna hatte diesem Tag lange entgegen gefiebert. Sie war in diesem Jahr achtzehn geworden. Zum ersten Mal darf sie einen Ball besuchen. Es ist Kirmes und ein warmer Sommerabend.
Anna hatte mit ihren Freundinnen schon während früherer Bälle das fröhliche Treiben durch die Saalfenster beobachtet und heimlich hatten sie den einen und anderen Tanz zuhause, wenn niemand zusah, geübt.
Doch nun gilt es. Sie drängt ihren älteren Bruders Josef, der die Aufgabe hat, auf seine "kleine Schwester" zu achten , ein wenig früher zu gehen, damit nichts ihrer knappen Zeit verloren geht. Um 10 Uhr würde Josef sie wieder nach Hause bringen müssen, so die Order des strengen Vaters.
Sie hatte noch nicht lange am Tisch ihrer Freundinnen Platz genommen, als mit einem Tusch das große Fest beginnt. Wie immer spielt die Kapelle zur Eröffnung einen schwungvollen Walzer. Der Schützenkönig und seine Königin eröffnen den Ball. Nach einigen Takten springen mehr und mehr Tanzpaare auf die Tanzfläche und bald geht das schwungvolle Kreisen in ein Knuffen und Puffen über, man kommt sich näher.
Von Tanz zu Tanz steigert sich die "Harmonie Lammersdorf":
Walzer, Schrittwalzer, Damenwahl,Walzer,
Nachdem der erste Tanzrausch langsam verebbte, wird zu dem Tanz aufgefordert, den Anna. lange erwartet hat. Johann R. tritt vor das Podium der Musiker und ruft:
"Losse merr lanksje danze"
Johann R. führt mit seinem Nettchen diesen Gesellschaftstanz an, und hin und wieder hilft er durch Ansagen, wenn es mit der Figurenfolge bei den Tänzern nicht so reibungslos klappt.
In zwei Reihen stellen sich Männer und Frauen vis-a-vis auf.
Dann die erste Anweisung Johanns:
"Lancier, Lancier, Lancier,
verneigt euch alle schön
seid lustig und galant,
die Damen nehmt zur Hand ..."
Die gegenüber stehenden Tanzpaare gehen aufeinander zu, verbeugen sich. Dann löst sich die Kette auf. Die Paare bilden Vierergruppen. Jede Vierergruppe bildet ein Karree aus zwei gegenüberstehenden Paaren. Die Paare bewegen sich aufeinander zu, verbeugen sich, trennen sich, wechseln den Partner, finden sich wieder, drehen sich.
Es werden verschiedene Runden getanzt. Da und dort gerät der eine oder die andere unter dem Gelächter, manchmal auch dem Spott, der Nachbarpaare aus dem Tritt, aber unter der Ansage von Johann R. wird die Tanzformation wieder sicher hergestellt.
Nachdem man alle Runden getanzt hat, ist Tanzpause. Es geht auf zehn Uhr zu. Anna tuschelt ein wenig mit ihren Freundinnen, vielleicht könnte sie ja - man könnte es versuchen... Kurz entschlossen geht sie zu ihrem Bruder und bietet all ihre Überredungskünste auf, um noch einige Tänze Aufschub zu erreichen. Doch ihr Bruder hat große "Kadanz" (=Respekt) vor dem Vater und so geht Anna ein wenig traurig heimwärts. - Aber beim nächsten Mal wird sie wieder dabei sein!
Dieser Beitrag fußt auf einem Bericht von Frau Anna Jansen. Frau Jansen ist heute (2015) im einhundertsten Lebensjahr. Mit Wehmut denkt sie an die Zeit der großen Dorfbälle zurück, als "Lanksje" getanzt wurde. Sie liebte diesen Tanz wegen der eleganten Bewegungen und wegen des Gemeinschaftsgefühls und der Freude, die er bereitet.
Nachtrag
Der Tanz war im 19.Jh. in ganz Europa bekannt und wurde bis in die 1930ger Jahre auch in Lammersdorf auf allen Bällen getanzt
In unserer Region, in Elsenborn, Büllingen und weiteren Orten der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist die Tradition den Lancier zu tanzen, nicht abgerissen und wird von jung und alt mit Hingabe gepflegt, wie folgende Videosequenzen zeigen:
Lancier in Elsenborn 2015
Auch in Dänemark gibt es zu diesem Tanz eine seit 140 Jahren ungebrochene Tanztradition. Dort wird der Tanz in Schulen gelehrt und von jungen Menschen gepflegt. Ein Beispiel finden Sie hier
Weitere Beispiele aus Elsenborn:
Lancier in Elsenborn - 2009; Runde 1
Lancier in Elsenborn -2009- Runde 2
Lancier in Elsenborn -2009- Runde 3
PS: Ein Wort über die sympathischen Elsenborner
Elsenborn ist ein anrührendes Beispiel einer eigenständigen, nicht touristisch vermarkteten Brauchtumspflege in unserer Region. In diesem Jahr (2015) traten nach der Messe etwa 20 Karrees zum Tanzen an. Das waren ca 160 Personen. Man spürt, dass sie, Kinder und Erwachsene, tanzen, weil es ihnen Freude macht.